Anna Kaiser-
Zu gerne würde ich die Geschichte der Anna Kaiser schreiben. Aber ich könnte nach 50 Jahren Erinnerung diese Frau mit ihrer Stupsnase, ihren leuchtenden, hellen Augen und dem krausen, blonden Haar leichter malen, als sie mit meiner Sprache darstellen.
Für ein paar Einblicke wird es reichen.
Anna wohnte in Sittensen. Drei Söhne hatte sie, und ein Mädchen. Ihr Ehemann war bei der Post. Er mußte ihr den Brief mit der Mitteilung bringen, dass ein Sohn in Russland gefallen war.
Fast jeden Tag schnitt Anna einen Kanten Brot und gab ihn den russischen Kriegsgefangenen im Ort.
Vom Nazi-Ortsgruppenleiter deshalb zur Rede gestellt, weshalb sie Menschen, in deren Heimat ihr Junge gefallen sei, auch noch Brot gebe, sagte sie - dieses ist verbürgt: " Du Arschloch!"
Ihr dritter Sohn hieß Arthur. Den kannte ich. Zu Besuch bei ihm, schossen wir unzählige Spatzen. Es war ein Sonntagnachmittag. Deswegen werde ich heute noch rot.
Als Arthur im Westen gefallen war und Anna diese Nachricht erhielt, nahm sie das Messer und haute einen Kanten Brot für Hungernde ab. Das schon etwas ältere deutsche Wachpersonal für die russischen Kriegsgefangenen, die Gräben ausheben mussten, verschwand in den Büschen, bevor Anna kam.
Es geschah aber, dass der Frühling 1945 ins Land kam und die Engländer und plünderndes Volk viel Macht besaßen. Sie wollten auch auf Annas kleines Anwesen. Aber das war so eine Sache: Eine Gruppe russisch sprechender Männer hatte Eichenknüppel, Spaten und ähnliches in der Hand zur Beschützung von Anna und den Ihren. Einer soll sogar einen Ballermann dabeigehabt haben, aber das weiß ich nur aus Erzählungen. Zu der Zeit war ich östlich von Berlin, Fürstenwalde -
Stacheldraht, Beerdigungen, Heimweh, Hunger.
Was ich jetzt sage, hat mir Anna Jahre später erzählt. Just zu der Zeit, als die Russen auf Annas Hof die Ordnung auf ihr robuste Art wieder herstellten, ging unter ihrem Zaun (ich kenne den Weg gut, er lag tiefer als das Grundstück) der ehemalige Ortsgruppenleiter vorbei.
"Anna", hätt he segt, "We hebt doch nix wusst."
Da sagt Anna zu ihm: "............." aber das hab ich ja schon weiter oben geschrieben.
Ich ziehe immer son büschen minen Hoot, wenn ich mal an se denke.
Werner Stumper